BGH stärkt Selbstbestimmungsrecht von Patienten

03. Juli 2010

Noch im Sommer 2009 hatte der Gesetzgeber nach langem Ringen um die richtige Formulierung ein Gesetz über Patientenverfügungen verabschiedet. Es sieht vor, dass der Arzt dem schriftlichen Willen des Patienten folgen muss – auch wenn das unter Umständen den Tod des Erkrankten bedeutet. Allerdings muss die Patientenverfügung schriftlich vorliegen und die Situationen, in denen Ärzte den speziellen Wünschen des Patienten folgen sollen, konkret beschreiben. Nach Möglichkeit soll ein Vertrauter als Bevollmächtigter benannt werden, der im Falle eines Falles die Verfügung zur Geltung bringt.

In vielen Fällen liegt aber eben doch keine schriftliche Patientenverfügung vor, sondern es existieren oft lediglich Aussagen von Angehörigen und nahestehenden Freunden, wonach der betroffene Patient irgendwann mal geäußert hat, dass er „nicht an Schläuchen und Maschinen hängen wolle“ und dass „man in so einem Fall alles abstellen solle.“
 
Gerade die behandelnden Ärzte sehen sich in einem schwer lösbaren Konflikt zwischen ihren beruflichen Pflichten, dem Respekt vor dem Willen und Selbstbestimmungsrecht des Patienten und den oft widerstreitenden Interessen der Angehörigen gefangen.
 
Mit Urteil vom 25. Juni 2010   hat der BGH ein aktuelles Urteil zur Berücksichtigung des mutmaßlichen Willens des Patienten, der seinen Willen nicht mehr kommunizieren kann, gefällt und damit die Selbstbestimmungsrechte des Patienten gestärkt. Der Sachverhalt:
 
Fünf Jahre lang hatte eine Frau im Koma gelegen und war künstlich ernährt worden, obwohl  sie sich das verbeten hatte. Die Tochter der Patientin fragte ihren Anwalt um Rat, der ihr empfahl, den Schlauch der PEG-Sonde zu kappen.Nachdem die Tochter den Schlauch gekappt hatte, wurde der Patientin jedoch gegen den Willen der Kinder eine neue Magensonde gelegt. Zwei Wochen später starb sie schließlich an Herzversagen. Das Landgericht Fulda verurteilte den Anwalt daraufhin im April 2009 wegen versuchten Totschlags zu einer Bewährungsstrafe von neun Monaten, wogegen sich die Revision richtete.
 
Der Bundesgerichtshof hob das Urteil des Landgerichts auf und sprach den Anwalt frei. Der BGH hat entschieden, dass die Behandlung eines unheilbaren Patienten abgebrochen werden dürfe, wenn er sich zuvor in diesem Sinne geäußert habe. Auch bei bewusstlosen Patienten sei allein deren mutmaßlicher Wille entscheidend
 
Der dem Urteil zugrunde liegende Fall ist deswegen besonders interessant, weil im Falle der verstorbenen Mutter keine schriftliche Patientenverfügung vorlag: Die Tochter berief sich darauf, dass ihre Mutter, kurz bevor sie wegen einer Hirnblutung ins Koma fiel ihr, den Wunsch geäußert hatte, dass sie in einem solchen Fall weder künstlich beatmet noch künstlich ernährt werden solle.
 
Um dem nicht schriftlich geäußerten Wunsch des Patienten Nachdruck zu verleihen, empfiehlt es sich für die behandelnden Ärzte – insbesondere für den Hausarzt, der seinen Patienten vielleicht schon jahrelang betreut – , das Thema „lebensverlängernde / lebenserhaltende Maßnahmen“ frühzeitig anzusprechen und die Vorstellungen des Patienten in der Patientenakte zu dokumentieren. Erfahrungsgemäß bleibt der Nachweis des mutmaßlichen Patientenwillens vor Gericht schwierig.